Leseförderung durch Autorenbegegnungen
Das Mittel, dass der Friedrich-Bödecker-Kreis zur Leseförderung nutzt, sind Autorenbegegnungen. Sie sollen die Leselust der Schüler wecken und darüber die literarische Kompetenz und die Lesekompetenz zu vertiefen helfen.
Dafür, dass Autorenbegegnungen ein nachhaltiges und vielschichtiges Mittel zur Erreichung unserer Ziele sind, sprechen viele Argumente.
1. Bei Autorenbegegnungen steht das sinnlich-ästhetische Leseerlebnis im Mittelpunkt
Um bei Kindern und Jugendlichen Lust am Lesen zu wecken und zu fördern, ist es wichtig, dass Raum bleibt für „lustvolle Leseerlebnisse“ (Spinner, Kaspar H. 2001), die frei von unmittelbaren didaktischen Bezügen und Notendruck sind. Gerade dieser zwanglose Umgang mit Literatur ist bei Autorenbegegnungen in hohem Maße gegeben.
„Bei den Autoren-Lesungen sollte es doch zu allererst um den Lesegenuss gehen, und dann erst um die Frage: was kann ich daraus lernen?“
(Jo Pestum, Autor, in: Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis (2004), Hrsg.: Hans Bödecker et al.)
2. Autorenbegegnungen beinhalten ästhetische Hörerfahrung
Gerade für die Lesesozialisation jüngerer Kinder sind Hörerfahrungen von Klang und Rhythmus prägend für die spätere Entwicklung der Lesefreude (Spinner, Kaspar H. 2007). Demgegenüber steht die Häufigkeit der Vorleserfahrungen durch das Elternhaus. Laut Vorlesestudie der Stiftung Lesen (2011) lasen im Jahr 2007 42% der Eltern ihren Kindern nur gelegentlich oder nie vor.
Dabei kommt dem Vorlesen auch insbesondere dadurch eine große Rolle für die Lesemotivation zu, weil das Lesenlernen selbst oft als mühevoll und langwierig empfunden wird und daher die Freude an Literatur und Lesen beim Selber-lesen-müssen manchmal zunächst eher hemmend als fördernd wirken kann (Garbe, Christine 2006b).
Da bereits frühkindliche Hör-Erfahrungen die spätere Entwicklung der Lesefreude entscheidend prägen (Spinner, Kaspar H. 2007), setzt der Friedrich-Bödecker-Kreis NRW e.V. bei der Förderung durch Autorenbegegnungen auch schon in Kindertagesstätten und Grundschulen an.
3. Autorenbegegnungen in öffentlichen Institutionen kompensieren familiäre Unterschiede
Die Familie gilt in ihrer Bedeutung für die Lesesozialisation nach wie vor als wichtigster sozialer Einfluss (Hurrelmann, Bettina 2002). Das ungleich verteilte Vorleseverhalten der Eltern verstärkt daher schichtabhängige Unterschiede für die Bildungschancen. Gerade weil die Rolle der Familie soziale Ungleichheiten bedingt, sind hier öffentliche Bildungseinrichtungen umso stärker gefragt, um in der Lesesozialisation kompensatorische Wirkungen zu erzielen (Garbe, Christine 2006a). Autorenbegegnungen an Schulen, in Kindertagesstätten und in Bibliotheken oder anderen öffentlichen Institutionen können diesem Ungleichgewicht zumindest teilweise entgegenwirken, indem sie auch Kindern und Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten intensive Literaturerfahrungen ermöglichen.
Nachweislich profitieren diejenigen Kinder und Jugendlichen besonders von buchorientierten und anregungsreichen Unterrichtseinheiten, die in der eigenen Familie bislang eher wenig Unterstützung in der Leseentwicklung erhalten haben (Hurrelmann, Bettina 2002). Dabei können laut PISA-Studie 2000 gerade die Schulen in Deutschland – verglichen mit anderen Ländern – bislang nur wenig zur Chancengleichheit beitragen (Garbe, Christine 2006a). Autorenbegegnungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Lesesozialisation ist stark auf Vorbilder angewiesen, die einen entsprechenden Umgang mit Literatur „vorleben“ (Garbe, Christine 2006b). Eine solche Vorbildfunktionen können auch Lehrer/innen übernehmen – oder eben Autoren und Autorinnen (Brinkmann, Helmut 2008).
4. Autorenbegegnungen ermöglichen positiv erfahrene Leseerlebnisse
Leselust wird dadurch bestimmt, welche Erwartungen an das Leseerlebnis gestellt werden. Diese Erwartungen aber wiederum sind abhängig davon, welche Leseerlebnisse ein Kind oder Jugendlicher in der Vergangenheit gemacht hat (Möller, Jens/Schiefele, Ulrich 2004). Wurde Lesen bisher vor allem als mühevolle Arbeit unter Notendruck empfunden, sind die Erwartungen an künftige Leseerwartungen auch eher negativ besetzt.
Wenn Kinder und Jugendliche bei einer Autorenbegegnung genussvoll zuhören können, statt mühevoll selbst zu lesen, wenn eine entspannte und inspirierende Atmosphäre geschaffen wird und die Autorin oder der Autor einen guten Draht zu den Zuhörern aufbaut, wird diese Begegnung zu einer positiven Erfahrung, die die Erwartung an künftige Leseerlebnisse beeinflusst.
Bestätigt wird das durch die Meinung der Kinder/Jugendlichen. Laut Studie (Conrady, Peter/Wiemer, Yvonne 2008) sagen rund 80% der Befragten, ihnen hätte die Autorenbegegnung „total gut“ gefallen.
„Die Nützlichkeit des Lesens, für uns Erwachsene selbstverständlich, bedeutet Kindern in der Regel noch nichts. Später, Zukunft – das ist für sie unendlich weit weg. (…) Wie also lässt sich diese Hürde überwinden? Indem wir Kinder neugierig machen auf Geschichten, ihnen vorlesen, sie die Magie der Worte entdecken und unsere eigene Begeisterung als Funke überspringen lassen. Den Kindern das Tor öffnen zur Faszination der Worte, die auch Bilder malen und Töne heraufbeschwören können.“
(Inge Meyer-Dietrich, Autorin)
„Es ist der natürliche Kontakt, wie früher beim Geschichten erzählen. Und wenn es glückt, dann entsteht etwas zwischen den jungen Menschen und den Autoren, was einmalig ist; ein Gespräch, eine Neubewertung des Textes, gewisse Formen einer sich rasch bildenden Gemeinsamkeit, bezogen dann auch auf die gehörte Geschichte. Und wenn man auf die richtigen Situationen trifft, dann ist das für beide Seiten beglückend.“
(Rainer Wochele, Autor, in: Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis (2004), Hrsg.: Hans Bödecker et al.)
5. Autorenbegegnungen fördern die Kreativität und die Vorstellungskraft
Durch die Beschäftigung mit Literatur werden Fantasie, Kreativität und Vorstellungskraft in besonderem Maße gefördert, so dass der Literaturunterricht in der Schule beim Erwerb dieser Fähigkeiten förderlich ist (Spinner, Kaspar H. 2001). Gleiches gilt auch für die Beschäftigung mit Literatur im Rahmen einer Autorenbegegnung.
„Gute Geschichten setzen die Fantasie frei und erzählen im Schüler weiter, sie führen selbst nach dem offiziellen Ende ein Eigenleben.“
(Jo Pestum, Autor, in: Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis (2004), Hrsg.: Hans Bödecker et al.)
6. Autorenbegegnungen steigern die Leselust
Lesemotivation ist ein Treiber von Lesemenge und Lesekompetenz. Die Lust am Lesen literarischer Texte fördert aber auch vielfältige andere Fähigkeiten und Schlüsselqualifikationen, die wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen sind.
Die Situation des Vorlesens spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Leselust. In der Vorlesestudie der Stiftung Lesen (2011) konnten positive Zusammenhänge zwischen Vorleseerlebnissen auf der einen Seite und dem Spaß am Bücherlesen, der Häufigkeit des Bücherlesens und der Lesedauer ermittelt werden.
Auch für Autorenbegegnungen im speziellen konnte eine gesteigerte Leselust der Kinder und Jugendlichen festgestellt werden (Conrady, Peter/Wiemer, Yvonne 2008). Für die nachhaltige Förderung der Leselust allerdings ist die Art der Einbindung der Autorenbegegnungen in den Unterricht mitentscheidend. Wird die Autorenbegegnungen als isoliertes Event organisiert und wahrgenommen, sind die Effekte eher von kurzer Dauer. Vor- und Nachbereitungen der Begegnungen und wiederholte Autorenbegegnungen in der Schullaufbahn unterstützen die Nachhaltigkeit der Wirkung.
„Zum Glück kommt es immer wieder vor, dass wir dabei den Schlüssel finden, der den Kindern die Tür zur Welt der Bücher öffnet.“
(Renate Welsh, Autorin, in: Leser treffen Autoren: Autorenporträts – Selbstcharakteristiken – Lesungen (2006), Hrsg.: Kurt Franz/Paul Maar)
7. Autorenbegegnungen fördern die Freude am Schreiben
Autorenbegegnungen umfassen nicht nur die klassischen Lesungen mit Werkstattgespräch, sondern können auch in Form von Schreibwerkstätten stattfinden. Im Rahmen dieser Schreibwerkstätten werden die Kinder und Jugendlichen von den Autoren im Verfassen eigener Texte unterstützt und angeleitet.
Neben dem spielerischen Umgang mit Sprache wird hier insbesondere auch die Freude am Schreiben (und damit auf indirektem Wege die Schreib- und Ausdrucksfähigkeit) gefördert. Bei der Evaluation einer Reihe von Schreibwerkstätten, die der Friedrich-Bödecker-Kreis bundesweit an verschiedenen Brennpunktschulen organisierte, konnte eine maßgebliche Steigerung der Freude am Selber-Schreiben durch die Werkstätten nachgewiesen werden (Röbbelen, Ingrid 2012).
Auch für die Schreibwerkstätten ist dabei ein wichtiger Faktor, dass es sich dabei um Veranstaltungen handelt, die möglichst frei von Noten- und Erwartungsdruck stattfinden.
8. Autorenbegegnungen sind nah an der Lebenswelt Kinder und Jugendlicher
Die Lesesozialisationsforschung zeigt, dass intensive Lektüreerfahrungen vor allem auch dadurch geprägt sind, dass sie die Lebensprobleme von Kindern und Jugendlichen widerspiegeln (Spinner, Kaspar H. 2007). Der häufig eher traditionelle und kanonorientierte Literaturunterricht an Schulen wird dieser Aufgabe oft nicht gerecht und zerstört mitunter das Literaturinteresse eher, statt es zu fördern (Garbe, Christine 2006a).
Im Rahmen der Autorenbegegnungen findet hingegen Beschäftigung mit zeitgenössischer Kinder- und Jugendliteratur statt, die sich nah an den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen bewegt und ihre Fragen, Sorgen, Interessen und Sehnsüchte thematisiert.
„Denn, etwas provokativ gesagt, in vielen Schulen findet die zeitgenössische Literatur nur dadurch statt, dass Autoren in den Unterricht kommen; (…) Und deshalb ist es so enorm wichtig, dass Schriftsteller in die Schulen kommen, weil durch diese Begegnungen der Boden für die Literatur bereitet wird.“
(Jo Pestum, Autor, in: Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis (2004), Hrsg.: Hans Bödecker et al.)
„In den vielen Briefen und E-Mails, die ich bekomme, und in Gesprächen bei Lesungen und Workshops erfahre ich, dass Bücher durchaus als Angebote verstanden werden. Sie können unterstützen bei der Suche, beim Sich-Zurechtfinden im Leben. Nicht im Sinne von: So musst du es machen. Sondern durch das Aufzeigen unterschiedlichster Lebensentwürfe.“
(Inge Meyer-Dietrich, Autorin)
9. Autorenbegegnungen sind echte Begegnungen zwischen Leser und Autor
Seit mit dem Aufkommen des Massenbuchmarktes und der zunehmenden Alphabetisierung aller Schichten die „stille Lektüre“ zur typischen Rezeptionsweise geworden ist, treffen Autor und Leser nur noch selten aufeinander. Der Autor schreibt in Abwesenheit des Lesers, der Leser liest in Abwesenheit des Autors. In den Autorenbegegnungen treffen „Produzent“ und „Rezipient“ nun wieder aufeinander:
„Und das bringt Nutzen auf beiden Seiten: Die Schüler interessieren sich über die Person für Literatur, der Autor erfährt im Gespräch mit den Schülern die Wirkung seines Schreibens.“
(Jo Pestum, Autor, in: Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis (2004), Hrsg.: Hans Bödecker et al.)
„Es ist für die Kinder wichtig zu erfahren, dass hinter jedem Buch eine Person, ein Mensch aus Fleisch und Blut steht. Dieser Mensch hat daran gearbeitet, hat überlegt, geschrieben, korrigiert, den Papierkorb gefüttert, bis das Buch als Ganzes fertig wurde.“
(Insa Bödecker, Lehrerin, Enkelin von Friedrich Bödecker und Vorsitzende des Friedrich-Bödecker-Kreises Niedersachsen, in: Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis (2004), Hrsg.: Hans Bödecker et al.)
Literatur wird für die Kinder und Jugendlichen durch die Vorlesesituation, vor allem aber auch durch die Begegnung mit den Autoren, die hinter den jeweiligen Werken stehen, zu lebendiger Literatur (Conrady, Peter 2008).
10. Autorenbegegnungen fördern Erfolgserlebnisse
Gerade in Bezug auf die Schreibwerkstätten, bei denen die Kinder und Jugendlichen besonders aktiv eingebunden sind, da sie selbst Texte verfassen und gemeinsam mit dem Autor daran arbeiten, können Autorenbegegnungen prägende Erfolgserlebnisse darstellen. In der Evaluation von Schreibwerkstätten in Brennpunktschulen etwa gaben jeweils rund 50 % der Kinder und Jugendlichen an, dass sie sich „stolz“ und „glücklich“ fühlten, nachdem sie einen Text geschrieben hatten (Röbbelen, Ingrid 2012).
Derartige Erfolgserlebnisse sind in ihrer Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklungen von Kindern und Jugendlichen nicht zu unterschätzen. Sie stärken das Selbstwertgefühl und machen Lust auf und Mut für mehr.
Quellen:
Brinkmann, Helmut (2008): Warum Autorenbegegnungen? in: Conrady, Peter (Hrsg.): Lebendige Literatur: Handreichungen für Autorenbegegnungen mit Kindern und Jugendlichen, Westermann.
Conrady, Peter (2008): Lernen und Lesenlernen durch aktives Teilhaben am Leben – Theoretische Grundlagen, in: Conrady, Peter (Hrsg.): Lebendige Literatur: Handreichungen für Autorenbegegnungen mit Kindern und Jugendlichen, Westermann.
Conrady, Peter/Wiemer, Yvonne (2008): Wie wirken sich Autorenbegegnungen auf Lesemotivation und Leseverhalten aus? Eine empirische Untersuchung, in: Conrady, Peter (Hrsg.): Lebendige Literatur: Handreichungen für Autorenbegegnungen mit Kindern und Jugendlichen, Westermann.
Garbe, Christine (2006a): Lesekompetenz als Schlüsselqualifikation in der Mediengesellschaft. PISA und IGLU las Herausforderung für eine systematische Leseförderung, in: Gläser, Eva/Franke-Zöllmer, Gitta (Hrsg.): Lesekompetenz fördern von Anfang an: Didaktische und methodische Anregungen zur Leseförderung, Schneider Verlag Hohengehren GmbH.
Garbe, Christine (2006b): Warum Leseförderung vor und in der Grundschule ansetzen muss. Erkenntnisse der biographischen Leseforschung, in: Gläser, Eva/Franke-Zöllmer, Gitta (Hrsg.): Lesekompetenz fördern von Anfang an: Didaktische und methodische Anregungen zur Leseförderung, Schneider Verlag Hohengehren GmbH.
Hurrelmann, Bettina (2002): Sozialhistorische Rahmenbedingungen von Lesekompetenz sowie soziale und personale Einflussfaktoren, in: Groeben, Norbert/Hurrelmann, Bettina (Hrsg.): Lesekompetenz – Bedingungen, Dimensionen, Funktionen, Juventa Verlag.
Möller, Jens/Schiefele, Ulrich (2004): Motivationale Grundlagen der Lesekompetenz, in: Schiefele, Ulrich et al. (Hrsg.): Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz: Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000, VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Röbbelen, Ingrid (2012): Schreiben als Chance: Schreibwerkstätten mit Autorinnen und Autoren in Brennpunktschulen – eine Evaluation, Copycampus.
Spinner, Kaspar H. (2007): Lesen als ästhetische Bildung, in: Bertschi-Kaufmann, Andrea (Hrsg.): Lesekompetenz – Leseleistung – Leseförderung: Grundlagen, Modelle und Materialien, Klett und Balmer Verlag.
Spinner, Kaspar H. (2001): Zielsetzungen des Literaturunterrichts, in: Spinner, Kaspar H.: Kreativer Deutschunterricht, Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung GmbH.
Stiftung Lesen (2011): Vorlesestudie 2011: Die Bedeutung des Vorlesens für die Entwicklung von Kindern.
"Autorenbegegnungen
sind wie Leuchttürme in den
Sturmfluten des Unterrichts."
Jürgen Banscherus