Wozu Leseförderung?

Der Friedrich-Bödecker-Kreis NRW e.V. vermittelt Autorenbegegnungen in Form von Lesungen und Schreibwerkstätten an Schulen, aber auch im außerschulischen Bereich. Ziel ist die Förderung der Freude an Literatur, am Lesen und Schreiben von Kindern und Jugendlichen in NRW.

Die Projekte erstrecken sich vom Bereich der frühkindlichen Leseförderung von Kindern im Kita-Alter über die Förderung Kindern und Jugendlichen im schulfähigen Alter hin zur Multiplikatorenausbildung. Das Schreibwerkstattangebot reicht von der Begabtenförderung bis hin zur Förderung bildungsbenachteiligter Jugendlicher, wobei je nach Zielsetzung vom Kurzgedicht bis hin zum Roman, der von 70 Jugendlichen gemeinsam geschrieben wird, höchst unterschiedliche Endergebnisse entstehen.

„Leseförderung ist ja eine Investition in die Zukunft, sie ist keine Subvention, die man als Verfügungsmasse betrachten darf. Leseförderung ist eine echte Investition und gehört zum Fundament unseres Bildungswesens. Durch das Lesenkönnen entsteht eine Art Kettenreaktion, die in der Schule die Kompetenz sowohl im Fach Deutsch verstärkt, als auch in die anderen Fächer hinein wirkt; denn Lesen ist die Grundlage des Wissenerwerbs. Wer gut lesen kann wird gebildeter sein. Er wird bessere Bildungsabschlüsse machen können. Und wenn er einen guten Bildungsabschluss hat, dann besitzt er auch bessere Chancen, einen guten Arbeitsplatz zu bekommen. Auf diese Weise kann er auch für unseren Staat, für unsere Gesellschaft einen besseren Beitrag leisten. Deshalb ist die konsequente Leseförderung so wichtig für unser aller Zukunft.“

Malte Blümke, Bundesvorsitzender der Bödecker-Kreise, in: Autorenbegegnungen – 50 Jahre Leseförderung durch den Friedrich-Bödecker-Kreis (2004), Hrsg.: Hans Bödecker et al.

Bedeutung der Leseförderung für die Gesellschaft

Fragt man nach dem Nutzen der Leseförderung, bietet das Zitat von Malte Blümke gleich mehrere Anhaltspunkte. Einer davon ist der Hinweis auf den gesellschaftlichen Nutzen gut ausgebildeter Kinder und Jugendlicher für unser aller Zukunft.

Gut (aus-)gebildete Menschen sind volkswirtschaftlich gesehen gerade in einer Zeit, in der Deutschland sich mehr und mehr in Richtung einer Dienstleistungs-, Informations- und Wissensgesellschaft bewegt, eine der wichtigsten „Ressourcen“. Leseförderung ist eine Notwendigkeit für unsere Gesellschaft.

Nicht umsonst führten im Jahr 2000 die schlechten Ergebnisse deutscher Kinder- und Jugendlicher in den PISA-Tests – gerade auch im Bereich der Lesekompetenz – zu einem regelrechten „PISA-Schock“ (Garbe, Christine 2006a). Die Ergebnisse der PISA- und IGLU-Tests wiesen zugleich darauf hin, dass Leseförderung dringend notwendig ist, um Defizite im Bildungsbereich zu verhindern und abzubauen.

Leseförderung bedeutet also Gesellschaftsförderung. Zugleich bedeutet sie aber auch immer Förderung auf individueller Ebene – um Kindern und Jugendlichen die gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.

Bedeutung der Leseförderung für die gesellschaftliche Teilhabe

Auch die Bedeutung des Lesenkönnens für die gesellschaftliche Teilhabe spricht Malte Blümke in der oben zitierten Passage an.

Lesekompetenz führt zu besseren Schulnoten, besseren Bildungsabschlüssen, der Chance auf bessere Arbeitsplätze (Blümke, Malte), denn sie erschließt den Weg zum Wissen: Lesen ist die „Schlüsselqualifikation für jede Art des Wissenserwerbs“ (Garbe, Christine 2006a).

Lesen wird zudem immer mehr zu einer „Kulturtechnik, deren Beherrschung eine Grundvoraussetzung der Teilnahme an gesellschaftlicher Kommunikation ist“ (Hurrelmann, Bettina 2002) und zur „Schlüsselqualifikation in der Mediengesellschaft“ (Garbe, Christine 2006a).

Dazu gehören in der literalen Gesellschaft ganz basale Dinge, denn „Lesen ist eine Fähigkeit, die man im Alltag braucht, z.B. wenn man im Internet eine Information sucht, wenn man im Supermarkt seinen Einkaufszettel und die Namen der Produkte liest oder wenn man eine Urlaubskarte von einem Freund erhält.“ (Spinner, Kaspar H. 2007)

Bedeutung der Leseförderung für die kulturelle Teilhabe

Über die unmittelbare Bedeutung des Lesens für den Lebensalltag hinaus kann aber auch insbesondere die literarische Kompetenz – und daraus resultierend: das Lesen literarischer Texte – eine große Rolle für die Entwicklung der Persönlichkeit und für die kulturelle Teilhabe der Kinder und Jugendlichen haben. Denn die Fähigkeit des Lesens ermöglicht auch die Begegnung mit der Welt der Literatur (Spinner, Kaspar H. 2007) und erlangt auf diesem Weg weitere Bedeutungsebenen für Kinder und Jugendliche.

Zu nennen sind hier die Erfahrungswelten, die sich für den Leser erschließen. Einerseits betrifft das die „Erfahrung mittels Literatur“ (Krejci, Michael 1993) und damit die Erfahrungswelten, die sich beim Lesen erschließen. Wer liest, kann auf diesem Wege an viele Orte und in viele Zeiten reisen, er kann aber auch viele Rolle und Perspektiven einnehmen. Durch Rollenübernahme werden „Quasi-Erfahrungen“ (Krejci, Michael 1993) gesammelt.

Zentral ist auch die „Erfahrung des Lesens“ und der damit wachgerufenen pragmatischen, sinnlich-emotionalen oder auch kognitiv-rationalen Komponenten (Krejci, Michael 1993), d.h. die Erfahrung der Gefühle und Gedanken, die durch den Leseprozess entstehen. Damit wird Lesen zu einem „Prozess des Selbst-Verstehens“, d.h. zu einer „Auseinandersetzung mit eigenen Wünschen, mit Leid, mit Wut, mit moralischen Konflikten, die einen beschäftigten.“ (Spinner, Kaspar H. 2007)

Von besonderer Bedeutung ist dabei auch das Gefühl verstanden zu werden, wenn in literarischen Texten Probleme aus der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und vor allem auch ihre Minderwertigkeitsgefühle thematisiert werden (Spinner, Kaspar H. 2007, Spinner, Kaspar H. 2001). Umgekehrt wird durch das Hineinversetzen des „empathischen Lesers“ (Bertschi-Kaufmann, Andrea/Wiesner, Esther 2009) in andere Perspektiven und Lebenswelten auch das Fremdverstehen gestärkt (Spinner, Kaspar H. 2007). So fördert literarisches Lesen auch die Abkehr von Egozentrik und Hinwendung zur Empathie (Spinner, Kaspar H. 2001).

Der Leseprozess wirkt als „Wechselspiel zwischen Identifikation und Distanzierung“ und regt dann intellektuell an (Garbe, Christine 2006b). Insgesamt entfaltet sich durch diese Erfahrungen das „Welt- und Selbstverständnis“ der Kinder und Jugendlichen, so dass die Auseinandersetzung mit Literatur unmittelbar zur Persönlichkeitsbildung, zur „Ich-Entwicklung“ beitragen kann (Krejci, Michael 1993). Sie regt aber auch das Nachdenken über grundlegende Lebensfragen an, die in den Texten thematisiert werden (Spinner, Kaspar H. 2001).

Zudem fördert die Beschäftigung mit literarischen Texten die Vorstellungsfähigkeit und Kreativität (Spinner, Kaspar H. 2007; Spinner Kaspar H. 2001) und eröffnet „literarische Bildung“, also Kenntnisse von Werken und Epochen der Literaturgeschichte (Spinner, Kaspar H. 2001).

Nicht zuletzt macht das Lesen literarischer Texte auch Spaß, nicht umsonst spricht man vom „selbstvergessenen Lesen“, vom „Flow“, in den der Leser gerät (Bertschi-Kaufmann, Andrea/Wiesner, Esther 2009). So führt Lesen auch zu „Leseglück“ – vorausgesetzt, dass man lesen kann.

Quellen:

Bertschi-Kaufmann, Andrea/Wiesner, Esther (2009): Lesealltag und Leseglück in den Selbstaussagen von Jungendlichen, in: Bertschi-Kaufmann, Andrea/Rosebrock, Cornelia (Hrsg.): Literalität – Bildungsaufgabe und Forschungsfeld, Juventa Verlag.

Garbe, Christine (2006a): Lesekompetenz als Schlüsselqualifikation in der Mediengesellschaft. PISA und IGLU las Herausforderung für eine systematische Leseförderung, in: Gläser, Eva/Franke-Zöllmer, Gitta (Hrsg.): Lesekompetenz fördern von Anfang an: Didaktische und methodische Anregungen zur Leseförderung, Schneider Verlag Hohengehren GmbH.

Garbe, Christine (2006b): Warum Leseförderung vor und in der Grundschule ansetzen muss. Erkenntnisse der biographischen Leseforschung, in: Gläser, Eva/Franke-Zöllmer, Gitta (Hrsg.): Lesekompetenz fördern von Anfang an: Didaktische und methodische Anregungen zur Leseförderung, Schneider Verlag Hohengehren GmbH.

Hurrelmann, Bettina (2002): Sozialhistorische Rahmenbedingungen von Lesekompetenz sowie soziale und personale Einflussfaktoren, in: Groeben, Norbert/Hurrelmann, Bettina (Hrsg.): Lesekompetenz – Bedingungen, Dimensionen, Funktionen, Juventa Verlag.

Krejci, Michael (1993): Lesen oder erfahren?, in: Beisbart, Ortwin et al. (Hrsg.): Leseförderung und Leseerziehung: Theorie und Praxis des Umgangs mit Büchern für junge Leser, Verlag Ludwig Auer.

Spinner, Kaspar H. (2007): Lesen als ästhetische Bildung, in: Bertschi-Kaufmann, Andrea (Hrsg.): Lesekompetenz – Leseleistung – Leseförderung: Grundlagen, Modelle und Materialien, Klett und Balmer Verlag.

Spinner, Kaspar H. (2001): Zielsetzungen des Literaturunterrichts, in: Spinner, Kaspar H.: Kreativer Deutschunterricht, Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung GmbH.

"Autorenbegegnungen
sind wie Leuchttürme in den
Sturmfluten des Unterrichts."

Jürgen Banscherus